EIN KLEINER SAMSTÄGLICHER KUNSTMARATHON IN ZÜRICH

Copyright Alexander Egger

ADRIAN DÜRRWANG

Alle Städtereisenden kennen die Situation: Der letzte Tag des viel zu kurzen zweieinhalbtägigen Städtetrips und die gemeinsame Liste der besuchswürdigen Ausstellungen und Aktivitäten ist noch überlang... Man rechnet fiebrig, welche der «essentiellen» Besuche bis zur – zuvor noch als zu spät empfundenen – Abfahrt des Zuges realisierbar ist. Meinungsverschiedenheiten sind vorprogrammiert! Wird sich der ambitionierte Part durchsetzen, der das stressige Abarbeiten in Kauf nimmt?... Zu 90 Prozent nein. Man wird ausschlafen, «z’mörgele», maximal in 300 Metern Abstand ums Hotel spazieren und 30 Minuten vor Abfahrt am Bahnhof stehen und auf den verspäteten Zug der Deutschen Bahn warten.

 

Der Besuch des Autors (www.adrianduerrwang.ch) und des Fotografen Alexander Egger (www.alexanderegger.ch) im «fremden Zürich» entsprach zu Beginn der Option zwei, bis er urplötzlich in die Option eins, einen kleinen Kunstmarathon mit Viertelstunden-Taktung, kippte.

 

Zu Beginn im «Last Tango» (www.lasttango.info), einem Kunstraum an bester Lage hinter dem Löwenbräu, empfingen uns die Künstler Tashi Brauen (*1980) (www.tashibrauen.com) und Chris Bünter (*1961) noch in entspanntem Rahmen. In Coronazeiten hatten die beiden gegensätzlichen Künstler eine Zusammenarbeit etabliert, wobei die Klatschbilder auf alten Du-Ausgaben von Brauen auf die konzeptionelle Arbeitsweise von Bünter trafen. Dieser schnitt Rundformen aus und verkehrte so quasi die Rückseite nach vorne. Danach wurden die Blätter für eine kleine Ausstellungstournee in Bern, Basel und Zürich jeweils ortspezifisch neu zusammengestellt. Im Last Tango fanden sich für die Ausstellung «Put-to-bed» zum Thema unterschiedliche Drucktechniken, das Werk als Wandelement, ähnlich einer Tapete, sowie als gerahmtes Unikat quasi auch den Status der Blätter hinterfragend. Details zum Projekt können etwa im zugehörigen Artikel in der Novemberausgabe des Kunstbulletins nachgelesen werden (www.artlog.net/de/kunstbulletin-11-2021/chris-bunter-tashi-brauen-zusammenarbeit-drei-aktenI). Besonders hervorzuheben sind aus der Schau auch die Monotypien von Michael Günzburger (*1974) (www.guenz.ch), die unergründliche Materialsammlung auf Matratzen darstellen. Bei dem kurzen Gespräch dazu mit dem ebenfalls anwesenden Künstler war notabene nicht zu erahnen, dass der berühmte Spruch jeder Eröffnung «the artist is present» quasi den Roten Faden dieser samstäglichen Kunstexkursion darstellen wird. 

 

Nach dem Einstieg nahm Tashi Brauen die Leitung in die Hand und das Tempo zu. Es ging in das Langstrasse-Quartier: Das Ziel, der Artist-Run-Space «Kupper Modern» (www.kupper-modern.com), welcher die Männerakte von Dieter Hall (*1955) (www.dieterhall.ch) noch bis Mitte Januar zeigt, barg eine Überraschung, bei der den Besuchern die Münder vor Erstaunen offen stehen blieben. Hinter einem unscheinbaren Fenster und einer Wand mit drei Gemälden, eine Treppe hinunter, eröffnete sich ein mehrgeschossiger unterirdischer Ausstellungsraum, der sich mit jeder mittelgrossen Kunsthalle messen kann – auch die Anzahl und die Qualität der Gemälde erinnern an eine institutionelle Ausstellung. Die Malerei von Hall, der in den 80er Jahren lange in New York gelebt hat, erhält speziell im Vergleich mit aktuellen Beispielen postkolonialer Malerischer Positionen eine ausserordentliche Gegenwärtigkeit. Nach einigen Worten mit dem Künstler drängte Brauen schon zum Weitergehen.

 

Er hatte kurzfristig einen Atelierbesuch bei Kesang Lamdark (*1963) (/www.grieder-contemporary.com/artists/kesang-lamdark) eingefädelt. In einer Hinterhofsituation mit den vielleicht einsamsten und wohl letzten Strommasten der Stadt Zürich, betraten wir über gefährliche Stiegen ein altes Holzhaus, das als Weinhandlung gedient hatte. Kaum oben angekommen, tauchten wir in ein ganz eigenes, halbdunkles Universum ein. Die Arbeit von Lamdark charakterisiert eine hypnotische Mischung zwischen Op und Pop, ein Spiel mit Oberflächen, Spiegeln, Lichteinsatz oder Schwarzlichtfarben und vermischter Protestsymbolik, mit seinen tibetanischen Wurzeln und der Ikonografie des Memento Mori. Von Bierdosen, die zu einer Art Kaleidoskop umfunktioniert worden sind, bis zu den aufgrund von Platzmangel an die niedere Decke montierten Werken, glich das Atelier einem seltsam-magischen Gesamtkunstwerk. Eggers fotografischer Jagdinstinkt war geweckt, während der Gastgeber freundlich, aber bestimmt, an das Zehnminuten Zeitfenster erinnerte, das uns noch blieb, bis zu seinem Zoom-Meeting. Noch bevor wir all die Eindrücke verarbeitet hatten, traten wir wieder hinaus – an einem Corona-Testcenter im Hinterhof vorbei – zurück in eine Seitenstrasse der Langstrasse.

 

Und weiter... In einem Hinterhof hatten wir eine bekannte Galerie erblickt, die auch nach 16 Uhr noch offen hatte. Nix wie rein in die Kunstgalerie Stefan Witschi (www.stephanwitschi.ch). Anwesend war der Künstler und Architekt Christoph Haerle (*1958) (www.haerlehubacher.ch/atelier/), der sein Projekt einer 60 Meter Betonwand beim Bürgerspital in Solothurn erläuterte. 2018 hatte er als Kunst am Bau Projekt das Betonieren dieser gigantischen Mauer so kontrolliert und orchestriert, dass durch den in 5 verschiedenen Pigmenten eingefärbten Beton ein Viereck-Muster entstand, dessen Kanten durch die unterschiedliche Trocknungszeit elegant zerflossen. Den Zufall aushalten, das gehört für den Künstler auch bei den kleineren Betonplatten in der Technik des farbigen Betons ebenfalls dazu. Die händisch bis zur samtig-feinen Oberfläche geschliffenen Arbeiten irritieren in ihrem Gegensatz von Schwere und Feinheit. Die zweite Werkgruppe, die Nagellackarbeiten, welche als regelmässige Quadrätchen einem Mosaik gleichen, sind weniger Mediationen über den Zufall, sondern vielmehr über das Aushalten des Lockowns. In einem solchen kleinteiligen Werk stecken 6 Monate Arbeit. Die Ausstellung, die Anlass für einen Bericht im ersten «ensuite» (www.ensuite.ch) des Jahres 2022 war, ist noch bis Ende Januar zu sehen.

 

Danach ging es raus in die Rote Fabrik, wo Tashi Brauen sein Atelier hat. Gestärkt durch eine zwischenzeitliche Einkehr, stand zum Abschluss noch ein weiterer Atelierbesuch bei unserem Gastgeber an. Dabei ähnelte aber hier das Atelier stärker einer Ausstellungssituation, da anderntags die Verantwortliche für eine Galerieausstellung erwartet wurde. Die farbigen abstrakten Formen von Tashi Brauen erinnern dabei etwas an Vorbilder wie Stella und man wähnte sich im Raum mit den hohen Wänden fast etwas im New York der 70er Jahre, da inzwischen die Dunkelheit über den See hereingebrochen war und die wunderbare Aussicht ausgelöscht hatte.

 

Doch dann ging es für uns zurück nach Bern und für den Künstler Heim zur Familie – indem er sagte, dass er schon lange keinen solchen Nachmittag mehr eingeschaltet habe. Wir steigen auf dem benachbarten Kiesplatz neben einem der ältesten Freudenhäuser, wo die Künstlerparkplätze der Roten Fabrik liegen – wohl ein schweizweites Unikum – in den Familienbus. Dann wurden wir durch das weihnächtliche Zürich, an der riesigen Schlage vor dem Weihnachtsmarkt am Opernhaus vorbei, an den Bahnhof chauffiert. Zum Schluss bleibt ein Besuch in Erinnerung, der geplant mit all den Begegnungen kaum geklappt hätte und der in der Taktung gefühlt schon einen «obristschen» Touch hatte.